Einiges aus Burkhard Müllers Buch Das Glück der Tiere.
Wer hätte angesichts von Steinen und den Gasnebeln der kosmischen Frühzeit oder auch allein aus der Kenntnis der Materie das Lebendige erwartet? Im emphatischen Sinne ist es das Tier. Es ist ein Wunder, d.h. eine nicht vorauszusehende Erscheinung. Wild gewordene Materie, sagt man auch, sei das Lebendige. Das ist auch ein Tornado. Er hat seine Wildheit aber nicht aus sich. Das Tier wohl. Schon äußerlich (physiologisch) ist es vom unsichtbaren Feuer des Stoffwechsels erregt: eine sich von Negentropie ernährende Insel, die sich der Entropievermehrung, dem Tod, widersetzt (siehe Materialien 1: Erwin Schrödingers Was ist Leben?). Als solches Stoffwechselwesen wäre das Tier aber nur „Stillstand als Raserei“: fressen, um nicht zu sterben, leben um zu fressen. Es verschwände völlig in der homogenen Manövriermasse der Evolution mit ihrem Kampf ums Dasein. Etwas reicht beim Lebendigen über den notvollen Stoffwechsel hinaus: das Glück bringende Plus von Bewusstsein und Schönheit.
(a) Bewusstsein ist das Medium der Selbstgewahrwerdung in Angst und Schmerz (vgl. Hermann Schmitz´ affektives Bußsein, insbes. seinen Aufsatz Sind Tiere Bewußthaber?), ist Daseinsgefühl. Auch wenn das Bewusstsein nicht alle Körperfunktionen erfasst: es ist etwas durch und durch Primäres. Nietzsche hat in ihm bzw. der Vernunft ein Mittel für den Kampf ums Dasein gesehen und ganz entsprechend sah Schopenhauer im Bewusstsein eine Art Leuchtfeuer oder Scheinwerfer der Lebewesen für bessere Orientierung. Schopenhauer kommt es wie der Evolutionstheorie auf die Individuen ja nicht an. Sie sind nur Schein. Das Ur-Eine umgreift und vertilgt sie. – Ohne Bewusstsein wäre der Körper des Tieren nichts als eine leere Schale, der ihr Juwel entrissen wurde.
Da eine Bewegung wollen auch schon heißt, sie bewirkt zu haben, und da die Gestalt des Tieres so vollkommen alles umfasst, was es wollen kann: Wie sollte es nicht von Glück durchflutet sein, wenn es jagd, frisst, ruht oder sogar, wenn es, z.B. das Zebra, auf der Flucht ist, all seine Kraft einsetzend. Von der Angst weiß es bald nichts mehr, falls es entfliehen kann und ans Äsen, d.h. auch: an seine Arbeit zurückgeht.
„Dass der Mensch glücklich sei in seiner Arbeit, denn dies ist sein Teil“, heißt es in der Bibel, Prediger 3:19 ff. Das gilt wohl auch für die Tiere. In Prediger 3:19 steht ja zuvor: „Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh. Wie dieses stirbt, so stirbt er auch. Und haben beide einerlei Odem.“ Odem oder Atemhauch heißt anima: Seele. Daher, als beseelte, sind Mensch und Tier animals.
Mein Körper stellt eine zoomorphe Konstante dar. Einleibung, wie Schmitz sagt, ist möglich: Die sichtbare Verletzung eines Tieres kann ich am eigenen Leibe nachfühlen. Ohne diese Art physiologischer Analogie gäbe es auch unter Menschen keine Einfühlung und Schonung.
(b) Warum sollten die Tiere nicht auch in den Genuss ihrer Schönheit gelangen? – Die Evolutionstheorie in ihr sieht darin Tarnung, Warnung, Werbung, Funktion, Überlebensvorteil. Sie sieht sie nicht, sofern sie schön ist. Sollte denn, so murrt Darwin, die Schale des Nautilus vor Millionen von Jahren zustande gekommen sein, um später ein Forscherauge zu erquicken? Und dann gibt er doch zu: Es gibt offenbar einen einheitlichen Sinn für Schönheit in der ganzen Natur.
Z.B. der Heulgesang der Polarhunde, auf eine CD gebannt von Helmut Schoener und Oswald Wiener (Anamal Music, Supposé / a-Musik, Canada). Sie hat nichts mit Balz zu tun: Männchen und Weibchen singen. Die Welpen zunächst nicht. Sie lernen es. Wiener: „Die eigentümliche Genießbarkeit dieser Musik ... zwingt zu dem Schluss, dass auch für die Hunde ein abstrakteres ästhetisches Vergnügen im Vordergrund steht.“
Die zarte Vervielfachung in der Gestalt der einzelnen der Milliarden Tiere ersehen wir nicht. Z.B. die Kaiserpinguine: Woran erkennt die Frau ihren Mann wieder (und dann auch ihr Küken), wenn sie im Frühjahr nach langer Reise von 80 Tagen mit einem Fisch zu ihm Mann zurückkommt, um ihn in der Brutpflege abzulösen? (Er stand die ganze Zeit in einer riesenhaften Kolonie von seinesgleichen mit einem einzigen Ei in einer Bauchfalte auf dem Eis.) Woran? Am Gesicht und an der Stimme!
Das Glück der Menschen ist nicht unbedingt reicher als das der Tiere. Unsere Genüsse, soweit sie den Raum verlassen, der auch den Tieren offen steht, sind „sämtlich auf dem steinigen Acker der Gewöhnung angesät und großgezogen“ (Müller S.40). Oliver Sacks berichtet (in seinem Buch Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte) von einem in Kokain und Psychostimulanzien erfahrenen Mann, der nach einem olfaktrorischen (Geruchs-) Traum tatsächlich im Wachzustand eine Art Hundewelt erlebte, eine Welt voller bisher unbekannter und nicht unterscheidbarer Gerüche, an denen jedes Ding und jede Person erkennbar waren. „Es war eine Welt, die aus ungeheuer konkreten Einzelheiten bestand, eine Welt, deren Unmittelbarkeit, deren unmittelbare Bedeutsamkeit überwältigend war.“ Als nach drei Wochen diese besondere Sensibilität wieder verschwand, war er zwar froh, wieder ein normaler Mensch zu sein, sehnte sich aber doch ab und an danach, wieder ein glücklich schnüffelnder Hund zu sein. Anscheinend wird diese Geruchs-Sensibilität aktiv vom menschlichen Gehirn unterdrückt, obwohl sie als Fähigkeit angelegt ist. Bewusstsein ist eine Art Bühne – auch für das Glück. „Auf der Hundebühne darf der Geruch sich zeigen; auf der Menschenbühne nicht, weil sie schon mit anderem so voll ist.“
Die Erfahrung eines anderen Daseinszustandes haben wir im Traum. Ein Traum mag tief oder seicht sein, aber nie ist er bewusstlos. So gibt es auch keine bewusstlosen Tiere. Natürlich empfindet auch der Wurm Schmerzen, erlebt er Glück. Denn er hat gefühlte Bedürfnisse und ihre Befriedigung. (Der Lehre der Antike, d.h. der Stoiker, dass Glück Bedürfnislosigkeit zur Bedingung habe, kann Müller nicht folgen.)
Sicher fehlt den Tieren der historische Sinn (vgl. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben). Sie sind an den Pflock des Augenblicks gefesselt, sagt Nietzsche. D.h. sie leben in der Gegenwart, finden sich nicht festsitzend im kontingenten Schicksal der Geschichte: zu diesem Zeitpunkt geboren, von diesen Eltern, in dieser Weltgegend. Das Tier weiß, außer in der vergesslichen Angst des akuten Notfalls, nicht, dass es sterben muss. – Aber es vergeudet seine Arbeit auch nicht an Kathedralen, und seine Schönheit sagt der Mode ab. (Müller, S.46)
Die Evolutionstheorie gibt dem Tier eine tödliche Geschichte, die seiner Unschuld erspart worden war: Die Geschichte des Kampfes ums Dasein, der Selektion. Die schöne Landschaft einer Korallenbank wird im wissenschaftlichen Auge zum Gebirge aus Knochen früherer Generationen jener Myriaden von lebendigen Blumentierchen. Die Leichen verwandeln herabsinkend sich ins Mauerwerk. Erst wenn den Korallenriffen so die Zeit und der Tod hinzugedacht werden, ruht der wissenschaftliche Blick ohne Groll und Neid mit Wohlgefallen auf ihm. Das Tier ist dann auch dem antiparadiesischen Projekt des Turmes von Babel dienstverpflichtet. Je höher der Bau wird, desto leichter wiegt das Fleisch der Bauarbeiter im Verhältnis zum Gewicht des schon verbauten Gesteins: „Eine ewige, heillose Historie, fähig nur eines Traums: dass die Summe des je Lebendigen auf dem Weg infinitesimaler Annäherung eines Tages doch zu null würde und die zur Unendlichkeit angewachsene Mauer der Skelette knirschend an den Himmel rührt.“ (S.47)
(Burkhard Müller, Das Glück der Tiere, S.215 ff)
Die Evolutionstheorie braucht das Christentum nicht, aber dieses kommt an jener nicht vorbei. Trotz der US-Kreationisten, denen es einige Mal gelang, die Darwinsche Theorie vom Schullehrplan buw. Als Prüfungsstoff abzusetzen und den Evolutionisten den Märtyrernimbus verlieh, haben die Evolutionisten längst gesiegt.
Darwin selbst war bemüht, Gott- oder Schöpferglauben nicht zu sehr in Gegensatz zu seiner Evolutionslehre zu bringen. Er berief sich in seiner Schrift Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl , Stuttgart 1989, S.66 f, auf einen renommierten Geistlichen, der den Glauben an einen Schöpfer von wenigen, aber sich fortentwickelnder Ursprungstypen für ebenso erhaben hielt als den Glauben an einen solchen Schöpfer , der immer wieder neue Schöpfungsakte ins Werk setzen musste, um die Vielfalt der Wesen hervorzubringen. Letzteres soll dabei eine Beschreibung des biblischen Schöpfens sei, ersteres soll der Darwinschen Evolutionstheorie entsprechen. Das tut es aber nicht. In Darwins Theorie gibt es keine Gott, der Grundtypen erschaffen hätte. - Besagter Geistlicher sieht in Darwin einen Deisten: Gott schöpft einmal am Anfang, dann setzt er sich zur Ruhe und lässt die Welt weiterlaufen.
Darwin setzt allenthalben auf seine Evolution noch einen Gott drauf, um seine Feinde, insbesondere die Geistlichkeit und die Christen, die auf den Wortlaut der Bibel (als Verbalinspiration des heiligen Geistes) verpflichtet sind, zu beschwichtigen. Er schreibt, die Evolutionsprodukte, z.B. die evolutive Errungenschaft des menschlichen Auges, sei vollkommener als eines aus Glas, weil ja Gottes Werke vollkommener seien als die menschlichen. (Darwin, Die Entst. d. Arten, Stuttgart 1989, S.250) Und angesichts rudimentärer zebrahafter Streifungen auf dem Fell von Pferden und Eseln meint er, es wäre eine Herabwürdigung der Werke Gottes zu Trug und Täuschung, wenn man darin den Zufall sähe und nicht den Hinweis auf gemeinsame Abstammung.
Im 20. Jh. ist die Evolutionstheorie so erstarkt, dass der Theologie nur noch zwei Möglichkeiten bleiben: sich in die Lücken der Theorie zu verkriechen oder sich an sie dranzuhängen. Für beides ein Beispiel. Erstens der Jesuit Paul Erbrich, zweitens der Jesuit Teilhard de Chardin.
Erbrich macht sich die Unvereinbarkeit von Mikrophysik (Quantentheorie) und Makrophysik (Relativitätstheorie) zunutze und plaziert Gott hinter die Quantenzufälle. Teilhard de Chardin setzt einen christlichen Evolutionismus auf den Darwinschen drauf, d.h. fügt dem kompletten System seine Lehre vom Reich Gottes in uns selbst und dessen Evolution an. Jacques Monod hatte für das Trittbrettfahren Gottes nur Verachtung übrig. Der Monismus der Evolutionstheorie kann das auf die Dauer ja auch nicht hinnehmen. Er wird den Gott, der „kostenlos mitreisen will, erbarmungslos am Rand stehen lassen.“
Eine unvergängliche Entdeckung hat das Christentum gemacht, betont Müller: Die Seele! Mit ihr ist es Gott vollkommen ernst. Sie wird zur Rechenschaft gezogen und geht in die Ewigkeit jenseits der Zeit ein. Aber was geschieht mit ihr in der Evolutionstheorie? „Ihr Unvergleichliches wird an die Stetigkeit der Entwicklung verraten“. Jede Seele müsste unentbehrliches Mittel sein, eine noch vollkommenere hervorzubringen. Die beim homo habilis diente der beim Neandertaler? Und unsere heute ist dann wohl Steigbügelhalter der künftigen Gottes-Ebenbildlichkeit! Wie könnte sie noch kostbarer Zweck an sich selbst sein? „Welche Schmach für uns; und welche Schande für Gott!“ (Müller, S.223)