Materialien 5

1. Über Mikro- und Makroevolution

Während die Mikroevolution (innerartliche Abwandlung und adaptive Anpassung) empirisch erwiesen ist und von niemand bestritten wird, konnte die Makroevolution (Artentstehung) bisher noch nicht beobachtet werden, es sei denn die Entstehung von sich nicht in ´wesentlichen´ Merkmalen unterscheidenden, form- oder grundgestaltähnlichen sogen. Arten (Unterarten). Definiert man Art genetisch, d.h. als Fortpflanzungsgemeinschaft, dann gehören Tiersorten, nur weil sie sich nicht mehr paaren können, obwohl sie morphologisch völlig gleich sind, zu verschiedenen Arten. So z.B. beim Grünlaubsänger, der rund um den Himalaya zwitschert. Diese Vögel lebten ursprünglich im Süden des Gebirges und gelangten in zwei Gruppen auf zwei verschiedenen Ruten, westliche und östliche, auf die andere Seite nach Sibirien, veränderten dabei aber ihren Gesang auf verschiedene Weise. Die beiden Gruppen sangen bzw. komponierten beim Wiedertreffen in Sibirien anders. Die Balzrufe verhallten ungehört. Vögel der einen Gesangsgruppe konnten sich mit solchen der anderen nicht mehr paaren, gehörten also zu einer anderen Art.

2.

Im Bild der Wissenschaft, 8/2000, meldete man die Beobachtung des Phänomens der Artentstehung bei Anolis Leguanen. 150 Arten gibt es auf Cuba, jeweils verschiedene Ausschnitte der Inselwelt bewohnend. Die Artbildung erfolgte, wie man so sagt, durch genetische Veränderungen, die es den Nachkommen ermöglichte, „ein kleines bisschen besser sich in ungewohnten Sträuchern zu bewegen oder neue Beute zu jagen“. Es überlebten langfristig die besser Angepassten, was schließlich zu neuen Tierarten führte. So war es auch bei Darwins Galapagos-Finken-Arten mit ihren verschiedenen Schnäbeln. Anscheinend paarten sie sich, bis sie sich nicht mehr paaren konnten. Ob die Artbastarde (wie bei Pferd und Esel) unfruchtbar waren, wird nicht berichtet.

Ob man die Grünlaubsänger nicht doch ohne Gesang (z.B. mit einem vorgetäuschten gleichartigen Gesang per Tonband) und die Finken mit verdecktem Schnabel hätte zur Paarung bringen können?

3.

Warum hat der Mensch keinen Penisknochen? Wäre das nicht ein Fortpflanzungsvorteil angesichts nicht immer eintretender Erektion? Träumen die Leute in Papua Neu-Guinea nicht davon, wenn die Männer mit ihren Penisschäften herumlaufen als simulierter Dauererektion? Hinderlich ist ihnen dieses Gerät offenbar nicht, bzw. so wenig oder soviel wie das Geweih den Hirschen. Das Geweih als Luxusbildung bzw. Gesundheits- oder Potenzschaustück ist ein hinderlicher Fortpflanzungsvorteil: es imponiert den Weibchen. R. Dawkins in Das egoistische Gen, 1996, S.486 meint dazu: „Es ist, als ob die Männchen von den Weibchen gezwungen werden, Fieberthermometer zu entwickeln, die ständig aus ihrem Mund herausschauen und für die Weibchen gut leserlich sind.“

Es gibt tatsächliche Tiere mit Penisknochen (Baculum, Os penis), z.B. das Walross. Die meisten Primaten, sogar unsere nächsten Verwandten (unter den Affen), die Schimpansen, haben Penisknochen. Diese machen die launische Hydraulik der Erektion überflüssig, schreibt Burghard Müller in seinem Buch Das Glück der Tiere, S. 134 ff. - Ein offenbarer Fortpflanzungsvorteil! Wir haben so etwas nicht einmal rudimentär wie den Blinddarm. Warum ist der Penisknochen verschwunden? – Müller: „Wie hat die Evolution eine so unfehlbar erfolgreiche Nummer vom Programm absetzen können?“

Dawkins, a.a.O. S.489: „Es ist nicht undenkbar, dass Frauen, wenn die natürliche Auslese ihre diagnostischen Fähigkeiten verfeinert hat, alle möglichen Hinweise auf Gesundheit und psychische Belastbarkeit eines Mannes aus dem Tonus und der Haltung des Penis ablesen könnte. Aber ein Knochen könnte dies zunichte machen! Jeder kann einen Knochen in seinem Penis wachsen lassen, man bracht dazu nicht besonders gesund oder widerstandsfähig zu sein. Daher hat der Selektionsdruck seitens der Frauen die Männer gezwungen, das Os penis zu verlieren, weil dann nur wirklich gesunde und starke Männer einen wirklich steifen Penis präsentieren und Frauen ungehindert eine Diagnose vornehmen können.“

Müller fügt hinzu: dass Impotenz dann ein absolutes (nicht nur ein relatives wie bei falschem Zungenschlag oder krummer Nase bei Grünlaubsängern und Finken) Hindernis wären, das die Begattung unterbindet, so dass die Schlappschwänze binnen einer Generation ausgemerzt wären.

Das Gegenargument der Schwierigkeit, zwischen Knochen und hydraulischem Druck zu unterscheiden, räumt Dawkins aus mit der evolutiv verfeinerten Urteilskraft der Frauen und ihrer Kenntnis von beiderlei Zuständen des Penis, dem schlaffen und erigierten. Aber das zieht nicht: Die zwei Zustände gibt es erst, wenn der Knochen weg ist, d.h. wenn es, evolutiv gesprochen, zu spät ist. Es sei denn, so Müller, „Dawkins denkt sich die Urbalz des Menschen als eine Art militärischer Ehrenformation, wo die Männer gereckt ihre Waffen präsentieren und die Frauen prüfend die Reihen abschreiten wie befreundete Staatsoberhäupter“(a.a.O. S.137).

Dawkins denkt nicht an den ersten Schritt im Ausgang von der Situation mit dem gut ausgebildeten Penisknochen, der übrigens als merkmalsfreie immer gleiche Erektion von den Frauen keines urteilenden Blicks gewürdigt würde. Damit sie anfangen hinzuschauen, muss der Knochen bei allen Männern schon weg sein. Wie hätte sich der symbolische, diagnostische Wert der Erektion allmählich ergeben können?

Müller: „Was würde der einzelne Mutant erleben, der zufällig seines Penisknoches verlustig gegangen wäre“  und hätte sogar gleichzeitig noch die Fähigkeit zur blut-hydraulischen Erektion gewonnen? Seine neue Errungenschaft käme, in der Nachbarschaft mit den übrigen per Knochen erigierten Männern, erst bei Ermattung beschämend oder lächerlich zur Geltung und die Frauen wüssten den Ärmsten nicht zu schätzen. Müller: „Seele dort sein zu müssen, wo bei anderen das Skelett genügt. Es ist ein hartes Los, es kann keinen evolutiven Fortschritt bedeuten“.

Dass der Knochen sich allmählich, Stück für Stück zurückgezogen haben könnte, ist absurd: Ein zuverlässiges Mittel würde gegen ein labiles eingetauscht.

Müller über Dawkins: „Wo andere auf die Erektion des Gedankens angewiesen sind, hat er den Knochen des Scharfsinns stecken. Ein solches Organ vor sich herzutragen, unerregt und doch immer ausgefahren: es muss, denke ich mir, eine lähmende Verstümmelung des Geistes bedeuten.

4. Notizen aus Müllers Buch Das Glück der Tiere

Alex. Fest Verlag, Berlin 2000.

a) Vor Darwin blieb das Individuum dem unmittelbaren Zugriff der strikten und allgemeinen Naturgesetzlichkeit entzogen, denn es war von jedem anderen Lebewesen, und sei es um ein Geringfügiges, verschieden und es vermochte sich mit ungeheurer Energie und Entschlossenheit als entropischen Widersinn zu erhalten. Diese beiden Tatbestände werden in der Darwinschen Theorie aneinander neutralisiert: „Gerade weil jedes einzelne Wesen für sich am Leben bleiben will, ist es mit jedem anderen, das das auch will, identisch; und gerade weil zwischen ihnen lauter kleine Differenzen liegen, findet die eine große und einzig maßgebliche Differenz den nötigen Anhalt, um sich zu vollstrecken, die Differenz von Überleben und Zugrundegehen. Individualität wird zum Werkzeug ihrer eigenen Gleichschaltung. Diese vollzieht sich im Kampf ums Dasein.“ (Müller, a.a.O. S.15)

b) Jede Aktivität des Lebewesens kann man als Versuch ansehen, den Tod wieder einmal knapp abzuwehren. Aber nicht einmal der Todesschrei soll dem Tier gehören. Die Evolutionisten machen auch ihn zu einem Trick im Überlebenszirkus. Wenn er schon nicht den Räuber abschreckt, so ruft er womöglich einen seiner Konkurrenten herbei. Einen zweiten Henker doch nur! Der Todesschrei bleibt der Sekunde vorbehalten, wo die Klaue packt und in der Regel keine Hoffnung mehr besteht. Wie soll sich der Schatz der vielleicht noch bestehenden Weiterlebenschance von einem Tausendstel Sekunde durch eine Unzahl sämtlich tödlicher Alles-oder-nichts-Entscheidungen allmählich und zufällig hervorentwickelt haben? – Freier, reiner Ausdruck, der sich auf keine Ziel mehr richten kann, ist der Todesschrei des Tieres! (vgl. S.17)

c) Angst und Schmerz definieren das Individuum (individuum est quod violatum dolet – Individuum ist, was, wenn es verletzt wird, leidet), sind aber nicht sein Ziel. Das ist z.B. der Genuss nach endlich erlangter Sättigung, der Sonneschein nach langer Kälte. „Es muss ein Glück der Existenz als Individuum geben.“ (S.21) Die Evolutionstheorie übergeht das Individuum, das Glück der Tiere.

Die Frage „Was ist das Lebendige“ wird umgelogen und eingeschränkt auf die Frage „Wo kommt es her? – Wieso ist die Wahrheit der Lebewesen in ihrer Geschichte zu suchen? - Wen kann es berühren, wer sein Vorfahr war?

Ein wenig vielleicht den sich seiner Ahnen noch entsinnenden Menschen, aber doch nicht die in reiner Gegenwart (vgl. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben) lebenden Tiere!

Der ungeheure Preis für diese Gewaltsamkeit der Evolutionstheorie ist ihre bodenlose Unwahrscheinlichkeit – mit der z.B. ein Bakterium sich zur Giraffe mausert, in möglichst kleinen, sich umso wahrscheinlicher spontan bildenden Schritten, zugleich aber solchen, die groß genug für einen Fortpflanzungsvorteil sind, der über Sein und Nichtsein entscheiden kann.

Und was kann den Abgrund überdecken, der sich zwischen dem höchsten Molekül und dem niedersten Bakterium dehnt?

d) Wer ist eigentlich der, welcher kämpft und siegt? Die Individuen nicht. Sie sterben. Die Arten nicht, sie gehen durch Artenwandel erfolgreich über in andere und also unter. Die Gene? Das Leben? Beide Antworten sind unbefriedigend. Die Gene sind keine abgrenzbaren Entitäten (an verschiedenen Stellen haben sie verschiedene Funktionen, und solche auch nur in Zusammenhang und Wechselwirkung mit anderen). Und Das Leben? Es lässt leben.

„Es ist keine unausdenkliche Forderung, zu verlangen, es solle Das Leben nicht geben“. (S.26) „Wie wäre es, wenn wir einfach nicht mehr stürben? ...Unsterblichkeit ist das große verhehlte Projekt der Menschheit“. - Doch davon noch später. Zunächst Näheres über das Glück der Tiere, d.h. über Bewusstsein und Schönheit.

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