Materialien 2

In ihrem Buch The DNA-Mystique meinen Dorothy Nelkin und Susan Lindee, die DNA habe eine ähnliche kulturelle Bedeutung erreicht wie die biblische Seele, sie sei sozusagen die „molekulare Innerlichkeit“ des Menschen. Während man früher von einem schlechten Menschen sagte, er habe eine schlechte Seele, heißt es heute, er hätte schlechte Gene. – Gene gelten als biologische Determinanten für Eigenschaften und Verhalten. (Der dänische Biologe Johannsen benannte 1909 mit dem Wort Gen „die partikulären Elemente der Vererbung, deren Existenz man durch die nach Gregor Mendel benannten Erbregeln voraussetzen konnte.“) Aber eigentlich gibt es sie gar nicht, d.h. sie sind nicht, sie werden nur! Es sind keine Dinge, die Gewicht oder Größe haben, keine genau bestimmten DNA-Stücke, vielmehr unscharfe Größen (fuzzy entities). „Es gibt keine Zellstruktur, die sich passend dazu identifizieren lässt. Und es gibt überlappende und wiederholte Sequenzen, von denen nicht klar ist, zu welchem Gen sie gehören und zu welchem nicht. Es gibt springende Gene und vielerlei genetische Umgruppierungen. Ein Gen ist nicht einmal eine feste Funktion – zu viele von so genannten Pseudo-Genen lassen sich im Zellkern nachweisen. Ein Gen ist zudem nicht fest abgegrenzt – es gibt flankierende Sequenzen, die ihm zugerechnet werden können, und es gibt weit entfernt liegende regulierende Sequenzen, die ihm zugerechnet werden müssen.“ (Zitate aus www.netdoktor.de/feature/gene)

3. Weiteres zur präbiotischen Evolution (Das Problem der Zelle)

Schrödinger hatte zwei Antworten auf die Frage „Was ist Leben?“ gegeben. Erstens die, dass Lebewesen Inseln der Ordnung sind, zweitens, dass sie von einem aperiodischen Kristall bestimmt sind, der DNS. Der zweiten Antwort sind wir zunächst nachgegangen - mit Wolfg. Wieser, der diese Antwort für die wichtigere hielt. Er sah die Grundfunktion von Leben in der Fähigkeit zur Replikation. Und diese Fähigkeit hat die DNS, bzw. sie enthält die Botschaft zu dieser Grundfunktion – vergleichbar dem „Logos“ zu Anfang des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort“, d.h. das Nukleinsäure-Skript oder die Buchstaben ACGT der DNS. Aber, wie jetzt zu erörtern ist: Vorher muss es die Zelle gegeben haben, die dieses „Wort“ hören bzw. aufnehmen und nutzbar machen konnte. (Darauf weist Steven Rose in seinem Buch Darwins gefährliche Erben, S.267 und 287 hin.)

Eine Evolution der RNS-Synthese (die RNS ist einzelsträngig und weniger aufwendig zu synthetisieren als die DNS, welche sich in die RNS überschreibt) kann erst in Zellstrukturen vonstatten gegangen sein. Das Wesentliche an der Zelle ist die Membran als Abgrenzung eines Innenraums von der (flüssigen) Umgebung. Man hat Spuren solcher Membranen bei Einschlüssen in Marsmeteoriten gefunden. Es könnten Zeichen von Leben sein. - Die vorhandene Abrenzung (Zellmembran) und nicht die Replikation markiert den entscheidenden Schritt zum Entstehen von Leben aus Nichtleben.

Damit sind wir bei Schrödingers erster Antwort: Ein Organsimen, Lebendiges, bildet eine Insel der Ordnung, schottet gegen seine Umgebung sich als ein Subsystem thermodynamisch ab, um dem Sturz ins thermodynamische Gleichgewicht (Gleichverteilung, Unordnung), d.h. dem Tod, zu entgehen. Die Abschottung im wässrigen Milieu erfolgt durch eine nicht wässrige Barriere, allerdings mit freier Diffusion (durch eine semipermeable Wand). „Leben ...zeigt sich als Muster chemischer Konservierung in einem Universum mit der Neigung zu Wärmeverlust und Desintegration.“ (Margulis / Sagan, a.a.O. S.67)

Solche Membranen lassen sich abiotisch schaffen (meint Steven Rose, a.a.O. S.280). Fallen Öl- oder Lipidtropfen (lipos= griech. Fett) ins Wasser, bildet sich ein Film oder kleine Tropfen, indem sich Lipidmoleküle genauso ausrichten, wie sie es in der Außenmembran einer Zelle ebenfalls tun. (Ob es in der ´Ursuppe´ Lipide gab, weiß ich nicht. Bei Millers Experiment entstanden Essigsäure, Ameisensäure, Propionsäure (pion heißt auch Fett), Aminosäure. Fette sind ansonsten Stoffwechselprodukte von Tieren und Pflanzen.)

Auch der nächste Evolutionsschritt, die Stabilisierung der möglichen chemischen Reaktionen in der Protozelle zu einem Gleichgewicht (= Homöostase) erfolgte womöglich noch abiotisch (durch abiotische Prozesse, die sich automatisch, von selbst, in der Zelle ergeben). Man hat dafür ein Computermodell entwickelt.

Aber wie es zur Dreieinigkeit von DNS, RNS und Proteinen in der Zelle gekommen sein könnte (also zum Replikationsmechanismus), darüber weiß man nichts. Erst mit diesem Mechanismus vermehren sich die Zellen. Sie (die ersten Lebensformen = Protoctista, die einzelligen von ihnen heißen Protista, z.B. Bakterien) konnten damit die Welt erobern. „Schon die einfachste lebende Zelle ist so komplex, dass selbst Supercomputer ihr Verhalten wohl nie perfekt simulieren können“, heißt es im Artikel Simulierte Zellen in der November-Ausgabe von Spektrum.

4. Zur biotischen (biologischen) Evolution (vom Einzeller zum Mehrzeller)

Meine Darstellung folgt Wolfg. Wieser, a.a.O. S.220.- Die primitivsten lebenden Wesen waren bakterienähnlich, und zwar Einzeller ohne Kern (= griech. Káryon), sog. Prokayo(n)ten, die sich durch vegetative Teilung vermehrten. Es gibt sie heute noch – trotz Evolution. Das Nukleinsäure-Skript für einen prokarionten Einzeller, z.B. das Darmbakterium Escherichia coli, enthält ca. 4 000 Gene mit jeweils 1 000 Nukleotiden, macht 4 000 000 Nukleotiden in 4 Arten (Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin). Das Genom ist also eins aus 4 hoch 4 000 000 möglichen.

Bei der Teilung können Kopierfehler entstehen: Mutationen. (Es gibt aber auch eine Selbstkorrektur der fehlerhaft kopierten DNS durch die RNA, in welcher die DNS überschrieben wird. Es gibt auch adaptive, auf Umwelt reagierende, Anpassung erzielende Veränderung (Mutation) der DNS, also so etwas wie vererbbare erworbene Eigenschaften - bei Einzellern.

Das evolutionäre Potential der Einzeller erwies sich als begrenzt: Sie sind nicht zur Differenzierung ihrer Funktionen im Stande. Größere Organismen konnten durch sie nicht aufgebaut werden. Das ökologische Potential war allerdings gewaltig: sie bevölkerten, und tun es noch heute, alsbald auch die extremsten Biotope der Erde (heiße Quellen, Salzlösungen).

Individuen sind die Einzeller nicht, meint Wieser. Auch Identität spricht er ihnen ab, weil bei der Teilung in zwei Tochterzellen zwei identische Zellen entstehen und einen Klon aufbauen. Der nächste Schritt hin zur „Erfindung der Individualität“ (die Nicht-Erblichkeit des Soma, seine Trennung von der Keimbahn und somit sein Tod, macht die Identität des individuellen Organismus aus, schreibt Wieser a.a.O. 223) war die eukaryonte Zelle: der Einzeller mit Zellkern. Zwei verschiedene primitive Zelltypen verschmolzen zu einem neuen Organismus. Den Kern bildet eine innere Membran, darin sind die DNS bzw. die Chromosomen. Außerdem enthält die eukaryonte Zelle Organellen, Maschinen zur Energiegewinnung und zur Betreibung des Kopierverfahrens bzw. der Proteinsynthesen.

Organellen wie die in großer Zahl (über hundert) in der eukaryonten Zelle vorkommenden Mitochondrien sind aus eingeschleusten Bakterien entstanden, die Symbionten wurden. Sie haben denn auch eine eigene DNS und vermehren sich im Zytoplasma unabhängig von der Zellteilung.

Dazu zwei Anmerkungen.

Der amerikanische Biologe Ivan Wallin (1883-1969) hielt die Bakterien, speziell die Mitochondrien, für die grundlegende Ursache des Ursprungs der Arten (sein Buch Symbionticism and the Origin of Species erschien 1927). Er meinte: Neue Arten bildeten sich durch ständigen Erwerb symbiontischer Bakterien. Tier, Pilze und Pflanzen haben sich aus Protoctisten (Eukaryonten) entwickelt, die ihrerseits aus symbiontischen Bakteriengesellschaften hervorgingen. Wallin züchtete Mitochondrien außerhalb ihrer Wirtszelle. Er wurde „von seine Kollegen öffentlich niedergebrüllt“ (Margulis / Sagan, Leben, S.107) und gab schließlich seine Vorstellung vom bakteriellen Ursprung der Mitochondrien auf. Heute ist er rehabilitiert, weil man 1963 die Mitochondrien DNS entdeckte.

Spektrum, Oktober 1997, Seite 70, berichtet über die Mitochondrien-DNS.

Die menschliche Mitochondrien-DNS ist seit Anfang der 89er Jahre entziffert. Sie enthält die Bauanleitung für wichtige Moleküle: Proteine und auch spezielle RNSs. Mutationen können sich schädlich auf diese auswirken und dadurch Krankheiten verursachen. Fehler der Mitochondrien DNS sind oft vererbt, werden aber nicht nach den gleichen Prinzipien weitergegeben wie gewöhnliche Erbkrankheiten. Die Mitochondrien-DNS wird ausschließlich über die Mitochondrien der Eizelle, also durch die Mutter vererbt. Die Samenzelle leistet dazu keinen dauerhaften Beitrag, weil deren Organellen nach der Befruchtung abgebaut werden.

Jedes der (mehrere hundert zählenden) Mitochondrien beherbergt mehrere DNS-Ringe (von jeweils ca. 16 000 Basenpaaren), die sich durch simple Querteilung vermehren. Bevor eine Zelle sich teilt, haben sich die Mitochondrien ungefähr verdoppelt. Falls einige Mitochondrien Mutationen aufweisen, so bleibt dem Zufall überlassen, wie sie bei der Zellteilung auf die zwei Zellen verteilt werden.

Die Mitochondrien-DNS ist haltbarer als die des Kerns. Sogar in Neandertaler-Knochen sind Mitochondrien-DNS-Stücke gefunden worden. Zar Nik.II wurde nach seiner Exhumierung 1991 durch seine Mitochondrien-DNS (durch Ähnlichkeit mit der seiner Verwandten) identifiziert.

Anhand der Mitochondrien-DNS hat man auch Aufschlüsse über die Evolution des anatomisch modernen Menschen gewonnen. Denn (so Spektrum 1997): „Die weltweiten Wanderungen lassen sich durch die Analyse der Mitochondrien-DNS nachzeichnen, weil sich darin im Zuge der Zeit ungefährliche Mutationen (alle 2 bis 3000 Jahre eine bleibende Mutation) ansammeln, die in der Population jeweils über die Mutter vererbt werden. Wandert eine Gruppe mit Frauen ab, so werden bei ihr schließlich andere Mutationen hinzukommen als bei der verbliebenen Gruppe. Das sich die Populationen nicht mehr vermischen konnten, unterscheiden sich entsprechende DNS-Sequenzen auf den einzelnen Kontinenten in charakteristischer Weise.“ So lassen sich die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Frauen aus verschiedenen Teilen der Welt ermitteln.

Da größere Sequenzenvielfalt in der Population ein Zeichen für höheres Alter ist, lässt sich ablesen, dass die afrikanische Bevölkerungsgruppe die älteste ist, und auch, durch Vergleich mit der Mitochondrien DNS heutiger Menschen, dass wir nicht von Neandertalern abstammen (obwohl wir doch so nahe an Düsseldorf wohnen).

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