Materialien 1

„Was war das Leben? Man wusste es nicht. Es war sich seiner bewusst, unzweifelhaft, sobald es Leben war, aber es wusste nicht, was es sei... Es war nicht materiell, und es war nicht Geist. Es war etwas zwischen beiden, ein Phänomen, getragen von Materie, gleich dem Regenbogen auf dem Wasserfall und gleich der Flamme. Aber wiewohl nicht materiell, war es sinnlich bis zur Lust und zum Ekel, die Schamlosigkeit der selbstempfindlich-reizbar gewordenen Materie, die unzüchtige Form es Seins. Es war ein heimlich-fühlsames Sichregen in der keuschen Kälte des Alls, eine wollüstig-verstohlene Unsauberkeit von Nährsaugen und Ausscheidung, ein exkretorischer Atemhauch von Kohlensäure und üblen Stoffen verborgener Herkunft und Beschaffenheit.“

(Th. Mann, Zauberberg)

1. Was ist Leben?

„What ist life?“ war der Titel von Erwin Schrödingers Dublin Lectures von 1943, als Buch erschienen 1944, dt. 1946 bei Francke, Bern, 1993 bei Piper, München. Das Buch markiert, so bemerkt Wolfg. Wieser (in ´Was ist Leben?´ in Merkur 552, März 1995, S.217), eine neue Epoche der Naturwissenschaften, „die Ablösung der Physik durch die Biologie als der führenden Wissenschaft der Zeit.“

E. Schrödinger (geb. Wien 1887, gest. Wien 1960), Quantenphysiker, Nobelpreis 1933 für die Wellenmechanik, gibt zwei Antworten:

a) Lebewesen sind „negentropieverzehrende offene Systeme“. Sie entnehmen der Umwelt Ordnung (Neg-Entropie), um dem Sturz ins thermodynamische Gleichgewicht (Gleichverteilung, Unordnung) zu erwehren – eine Lebenszeit lang. Der zweite Hauptsatz der Thermonynamik postuliert, dass in einem abgeschlossenen System alle Temperaturunterschiede danach streben müssen, sich spontan aufzuheben. Vgl. dazu z.B. Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie, Piper, München1971 (zuerst Paris 1970 Le hasard et la nécessité).

Schrödinger: „Die lebende Materie entzieht sich dem Abfall in den Gleichgewichtszustand... Sie ernährt sich aus negativer Entropie“. Wieser (a.a.O., S.218) meint: „Das Prinzip des offenen dynamischen Systems stellt eine ebenso unverzichtbare Randbedingung für Lebensprozesse dar wie der zweite Hauptsatz selbst (der ja gerade die derartigen Systemen Regie führt).“

b) (formuliert von Lynn Margulis / Dorion Sagan, Leben. Vom Ursprung zur Vielfalt, Spektrum Akadem. Verlag, Heidelberg / Berlin 1999, S.12): „Leben ist eine Materie, die ihre Struktur wie ein Kristall – und zwar ein seltsamer ´aperiodischer Kristall´ - während ihres Wachstums ständig wiederholt.“ Der aperiodische Kristall (aperiodisch steht für Information und Kristall für Ordnung) entspricht der erst ein Jahr später (1944) von Oswald Avery als Träger des genetischen Materials entdeckten Desoxyribonukleinsäure (DNS oder, mit engl. Acid für Säure, DNA. Bedeutet wörtlich: eine im Nukleus = Zellkern vorkommende Säure mit einer Ribose, d.h. einem Zucker, dem an einer bestimmten Stelle ein Sauerstoffatom fehlt = desoxy). Die Doppelhelix als Form der DNS wurde 1953 von Watson und Crick entdeckt.

Das Entscheidende bei Schrödingers zweiter Antwort ist (nach Wieser, a.a.O. S.219) folgendes: Während die Gesetze der Physik und Chemie auf dem Verhalten riesiger Mengen gleichartiger Atome und Moleküle beruhen, wobei das Verhalten einzelner Partikel völlig undeterminiert bleibt, entsteht in Lebewesen „Ordnung auf Grund des Verhaltens einer relativ kleinen Anzahl von Atomen, die sich zu molekularen Konfigurationen zusammengeschlossen haben, die jeweils ...in der Unendlichkeit des Universums bloß in ein oder zwei Kopien vorliegen mögen.“ Wolfg. Wieser sagt weiter: „Die Erfindung der Individualität wäre das entscheidende Charakteristikum des Lebens auf dieser Erde.“

Anmerkung 1 zur Genetik (vgl. hierzu mein Buch Neuromythen, Zweitausendeins, Frankfurt 2000, dort S.93 ff: ´Gensprache´).

Die „aperiodischen Kristalle“ (Schrödinger), oder nun Nukleinsäuremoleküle, haben bei den aus Zellen aufgebauten Lebewesen die Bedeutung von Bauanleitungen für Proteine (Ketten oder Polymere von Aminosäuren, wovon es zwanzig gibt, vgl. Monod, a.a.O. S.224 ff. Proteine gibt es in 50 Tausend Sorten.). Der Aufbau der Proteine geschieht in der Zelle vermöge dort vorhandenen Ausgangsmaterials und Fabriken (Mitochondrien, intrazelluläre Symbionten, ursprünglich eingeschlossene Bakterien, mit eigener DNS ) und zwar durch eine kopierte, chemisch etwas anders aufgebaute DNS, die sog. RNS (Ribonukleinsäure, Boten-RNS). Zur Proteinsynthese an Ribosomen vgl. Brian Goodwin, Der Leopard, der seine Flecken verliert. Evolution und Komplexität. Piper, München 1997, S.27.

Die DNS ist ein Kettenmolekül. Elemente sind die Nukleotiden, von denen ca. 1000 ein Gen, d.h. einen Abschnitt der DNS, bilden, der im Verbund mit anderen Funktionselementen der Zelle ein Protein codiert, d.h. hier: aufzubauen verhilft. Ein Nukleotid ist eine Baueinheit (Kettenglied), darin sind eine in vier Typen (Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, die sog. Gen-Buchstaben A, C, D und T) vorkommende Base, ein Zucker und eine Phosphorsäure miteinander verbunden. Das kettenförmige Makromelekül DNS gehört seiner Struktur nach zur Gruppe der Polyester - wie die bekannten Synthesefasern Diolen, Trevira und Mylar. In der Doppelhelix sind zwei Stränge der DNA durch Basenpaare miteinander verbunden. Die Bindung kann gelöst werden, z.B. durch Wärme, in der Zelle durch eine besondere Maschine. Jeder DNS-Strang ist charakterisiert durch die Abfolge der Basen (Buchstaben der sog. Gensprache). Nur ein Strang, „macht Sinn“. Je drei Nukleotide (Triplett) sind zu einem Schriftzeichen (Codon) zusammengefasst. Mehrere davon bilden (durch Stoppzeichen voneinander abgesetze) Sätze. Jedes Codon ist einer Aminosäure in der Kette eines Proteinmoleküls, z.B. eines Enzyms, zugeordnet, „so dass die Reihenfolge der Nukleotide in der DNS-Kette die Reihenfolge der Aminosäuren in den Eiweiß- oder Proteinmolekülen und diese schließlich die hochspezifiasche Wirkung der Proteine als Enzyme bestimmt.“ (Vollmert) Die Enzyme steuern das gesamt physiologische Geschehen in der Zelle, so dass letztlich die Nukleotidreihenfolge des DNS-Moleküls den zentralen Informationsspeicher eines Lebewesens bildet. In Form der Doppelspirale und auf Chromosomen verteilt liegt dieses Molekül in allen Zellen des Organismus vor.

Ein Nukleotid enthält ca. 30 Atome. Das Genom der menschlichen Zelle enthält etwa 3 Milliarden Nukleotide, insgesamt sind das ca. 10 hoch 11 Atome, relativ wenig im Vergleich zu den 100 Millionen mal mehr Molekülen in einem Eimer Wasser. Auf Grund der Variabilität der Genome sind die Genome der Lebewesen (falls sie keine Klone repräsentieren) von einander unterschieden. Die Organismen, meint W. Wieser, können daher „als singuläre Lösungen eines kosmischen Problems“ (der Suche nach der jeweils perfekten, d.h. den Umweltanforderungen bestangepaßten) angesehen werden.

2. Zu präbiotischen Evolution. (Zum Problem der Entstehung des Lebens.)

Leben entsteht aus Leben, oder: Lebewesen stammen von Vorfahren ab (auch durch Teilung). Woher stammt das Leben? Gibt es einen Anfang für Leben - im Weltall, auf der Erde? Man kann davon ausgehen, dass zunächst, vor vielleicht 13 Milliarden Jahren beim Urknall oder dann auch in den Frühzeiten der später, vor ca. 3,5 Milliarden Jahren entstandenen Erde, keine für Leben, wie wir es kennen (aus Eiweißbasis) geeignete Umweltbedingungen herrschten. Erst ca. 300 Millionen Jahre nach der Erdplaneten-Entstehung, nachdem sich die Erdkruste auf unter 100° C abgekühlt hatte, könnten auf der Erde solche Verhältnisse bestanden haben, die zumindest die für Lebewesen (Pflanzen, Tiere) typischen und unerlässlichen Makromoleküle der DNA und der Proteine haben entstehen lassen können. In einer Methan, Wasser und Amoniak enthaltenden sog. Uratmosphäre könnten unter Einwirkung von Blitzen und energiereicher Strahlung Aminosäuren und andere für den Aufbau lebender Organismen unerlässlichen Stoffe entstanden sein. Sie hätten sich in kleinen Seen (Ursuppen) sammeln und dort unter katalytischer Wirkung von Schwermetallsalzen besagte Makromoleküle entstehen lassen können.

Diese Verhältnisse (für eine präbiotische oder molekulare Evolution) wurden in dem Ursuppenexperiment von Urey und Miller 1953 nachgestellt. Angeblich haben diese Versuche die mögliche Entstehung des Lebens „ von selbst“ gezeigt.

Bruno Vollmert meint: eine Bildung (Polymerisation) von Kettenmolekülen wie DNA und Proteinen ist in einer Ursuppe, d.h.unter jenen genannten Bedingungen, nicht möglich. (Vgl. Bruno Vollmert: ´Was Darwin nicht wissen konnte und Darwinisten nicht wissen wollen.´ Südwestfunk, 2.Programm, 6. und 13. 9. 1983)

Bei Urey/Millers Experiment entstanden in der wässrigen Ursuppe überwiegend monofunktionelle (sie können nur an einem Ende andocken, lassen also eine Kette enden), nicht zur Kettenbildung geeignete Stoffe wie Ameisen- oder Essigsäure, neben den bifunktionellen Aminosäuren, den Bausteine der Proteine. Elemente der DNA, Nukleotide, wurden nicht gefunden. Wegen der überwiegenden monofunktionellen Kettenbauteilen konnte es nicht zur Kettenbildung kommen. Ketten könnten sich bilden, wenn man unter Wasserausschluss Bauelemente durch Polykondensation herstellt und die monofunktionellen Stücke aussortiert. In wässriger Lösung geht die ´Evolution´ in Richtung kürzerer Ketten. Mit steigender Kettenlänge nimmt die Kettenspaltungsgeschwindigkeit durch Hydrolyse nämlich zu.

Natürlich lässt sich eine Polymerisation erreichen- wenn das ein Chemiker mit ausgeklügelten Synthesestrategien macht, den es aber (als intelligentes Lebewesen) in Ursuppenzeiten noch nicht gab. – Crick verlagert das Problem der Makromolekül- bzw. Lebenentstehung kurzerhand auf andere Weltkörper, von denen das Leben dann – etwa durch ´Außerirdisches´ wie Meteoriten oder Asteroiden - auf die Erde transportiert wurde.

Vollmert: „Selbst wenn historische Rahmenbedingungen denkbar wären, die bei den gegebenen Polykondensationsgesetzen eine Kettenbildung zugelassen hätten, wäre für die Von-selbst-Enstehung einer lebenden Zelle nicht viel gewonnen, denn die eigentlichen Probleme fangen ja erst an mit der Frage nach der Reihenfolge der Nukleotide in den RNA/DNA-Ketten und der Aminosäuren in den Proteinen, also mit der Frage der Entstehung des genetischen Code und der Trankriptions- und Translationsorgane der Zelle.“

Anmerkung 2 zur Genetik.

Das Problem der Entstehung von Leben auf das der Entstehung von DNS zu verkürzen hat seinen Grund darin, dass die DNS bei allem Lebendigen zu finden ist und dort für den Aufbau und die Fortpflanzung des Organismus verantwortlich ist. Die DNS leistet hauptsächlich zweierlei: Sie kann sich selbst replizieren und sie kann sich in eine RNS kopieren, welche „lineare Aminosäuresequenzen zu Proteinen, den Arbreitspferden der lebenden Zelle“ (Goodwin, a.a.O. S.26), verknüpfen.

Beides aber nur in einer Zelle. Ohne Zelle evolviert, wie Spiegelman 1967 zeigte, ein sich replizierendes Molekülsystem wie die DNS in Richtung größerer Einfachheit (Goodwin, a.a.O. S.70).

Die Gesamtheit der Chromosome (die Gene) mit ihren Befehlen reicht nicht aus, um z.B. die zeitliche Abfolge und die Einzelheiten der Bildung eines Organs festzulegen. Der Bauplan eines Organismus kann nicht allein durch die Wirkung seiner Gene erklärt werden. Ludger Honnefelder (´Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen“?, Information Philosophie, Oktober 2001, Heft 4, S. 7 ff) schreibt: „Wir wissen, dass die Abfolge der vier Basen im Genom eine entscheidende Grundlage der gesamten Lebensvorgänge darstellt, dass aber noch sehr viel umfangreichere und detailliertere Untersuchungen notwendig sein werden, um die spezifische Funktion zu erfassen, die dem Genom in Wechselwirkung mit dem Proteom, d.h. den durch das Genom bestimmten Eiweißstoffen, und den anderen Faktoren im Gesamten von Zelle und Organismus zukommt... Fast 99% unserer Gensequenzen haben wir vermutlich mit dem Schimpansen gemeinsam. Aber warum aus den nahezu gleichen Sequenzen im einen Fall ein Schimpanse wird und im anderen Fall ein Mensch, wissen wir bislang nicht. Offensichtlich bestimmen die 30 000 bis 40 000 Gene vieles in Form einer Wechselwirkung miteinander.“ Die wirkliche Revolution der Zellbiologie wird die Beobachtung der Genaktivitäten und Wechselwirkungen innerhalb der Sequenzen der Erbsubstanz DNS sein.

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